Hans und das Weihnachtswunder

An einem wunderschönen Wintermorgen saß ein Waisenjunge namens Hans mit abgetragener Hose, löchrigen Socken und kaputtem Pullover auf seinem Bett und schaute aus seinem Fenster. Er sah, wie die Schneeflocken langsam auf die Erde tanzten und warme Kerzenlichter in den Häusern brannten. Langsam stieg er aus seinem Bett und trottete zur Schule.

Es graute ihm schon, in der Schule zu sein, da alle Kinder aus seiner Klasse viel über Weihnachten redeten. Bisher ignorierte er es. Doch eines war klar: Er hasste Weihnachten. Der Tag zog sich wie immer, aber kurz vor Schulende dachte sich Hans: „Gott sei Dank, habe ich den Schultag überstanden“.

Doch als die Kinder hinausgehen wollten, tobte ein finsterer Sturm. So mussten die Kinder, darunter auch Hans, bis der Sturm vorbei war, in der Schule bleiben. Als sie sich wieder hinsetzten, ging das Licht aus. „Stromausfall“, sagten alle Kinder schockiert im Chor. Zum Glück hatte die Schule einen Kamin, der Licht und Wärme spendete. Dann holte die Lehrerin einen heißen Kakao für alle Schüler. So saßen sie wohlig um den Kamin herum und tranken. Dabei erzählten die Kinder nur von Weihnachten.

Nach 20 Minuten sprang Hans auf, schüttete seinen Kakao ins Feuer und sagte: „Weihnachten braucht keiner!“ Dieser Satz ließ jeden im Raum still werden. „Hans“, begann die Lehrerin zu schimpfen, aber genau in diesem Moment ließ der Sturm nach und alle konnten nach Hause gehen.

Hans polterte beleidigt, wütend, aber auch ein bisschen traurig die Treppe der Schule hinunter und lief ins Waisenhaus. Er hatte genug. Er wollte nur noch raus und Weihnachten vernichten.

Noch ein letztes Mal sah sich Hans in seinem Zimmer um. Dann zog er sich seine Mütze über den verwuschelten Kopf und ging. Er musste nur noch an der Erzieherin vorbei. Er lief los. Er versteckte sich hinter einem Tisch. Es waren jetzt nur noch 20m bis zur Tür. Vorsichtig ging er weiter und stieß mit seinem Kopf gegen einen Pfahl. „Aua“, schrie Hans und gleichzeitig dachte er sich: „Mist, das war laut. Schnell weiter.“

Jetzt hatte er es geschafft. Er war draußen und lief zum Bahnhof, um den nächst möglichen Nordpolarexpress zu nehmen.

Hans hatte sich unter die Leute gemischt und versuchte jetzt bloß nicht aufzufallen. Ständig hatte er sein Ziel im Kopf. Weihnachten vernichten! Dafür wollte er die Goldkugel des Weihnachtsmannes stehlen. Denn sie sorgte dafür, dass der Weihnachtsmann wusste, wo er die Geschenke abliefern sollte.

Nach einer langen Zugfahrt war er da und schaute in das endlose Weiß. Weit entfernt sah er ein grelles Licht. „Nur das kann das Haus des Weihnachtsmannes sein!“, dachte sich Hans und ging los. Und tatsächlich, als er ankam, stand über der Tür „Welcome to Santas house“.

Hans wusste, dass er durch das Haus musste, um zum Stall zu gelangen, in dem sich der Schlitten mit der Goldkugel befand. Er ging ein paar Mal um das Haus und plötzlich sah er den Weihnachtsmann in seiner Küche stehen. Er wollte sich wohl gerade eine Schokolade machen. So lief er weiter um das Haus herum und entdeckte eine Art Leiter an der Seite der Hauswand. „Perfekt. Ich mache es auf die ganz altmodische Art und steige in Santas Schornstein“, dachte sich Hans und kletterte die Leiter hinauf. Unterwegs rutschte er ein paar Mal ab, aber verlor nie die Fassung. Er blieb kurz auf dem Dach sitzen, um sich aufzurappeln, kletterte dann den Schornstein hinab und krabbelte aus dem Kamin.

Unten angekommen, versteckte er sich hinter einem Sessel und wartete ab, bis er sich sicher war, dass der Weihnachtsmann nicht mehr da war. Er huschte jetzt weiter, bis er zu den berühmten Rentierställen kam.

Goldglänzend lag sie da: die magische Kugel des Weihnachtsmannes.

Voller Neugier schlich er zum Schlitten, um ihn sich besser anzuschauen. Vorne waren die Rentiere bereits eingespannt. Doch sie lagen in aller Ruhe auf dem Boden. Er spürte ein Gefühl von Wärme. „Quatsch, was mache ich da?“, dachte er sich. Und so kletterte er in den Schlitten. Die Kugel war nun direkt vor seiner Nase. Er packte sie und zerrte an ihr, ohne zu merken, dass die Rentiere unruhig wurden.

Als er nun aus Versehen die Zügel in die Hand nahm und sie hin und her schwang, fingen die Rentiere an, mit den Beinen zu strampeln. Vor ihnen ging plötzlich ein Tor auf, das zu einem Wasserfall führte. Die Tiere erhoben sich und rasten los. Hans wurde mitgerissen und hielt sich am Schlitten fest. Der Schlitten fuhr durch den Wasserfall. Als er dachte, es sei vorbei, machten die Rentiere kehrt und flogen durch das Portal des Weihnachtsmannes.

Es wurde einen Moment lang dunkel, doch dann sah er den Sternenhimmel über sich funkeln. Die Rentiere gingen durch und rasten nur so Richtung Erde. Dann gab es einen lauten Knall, Holzlatten flogen um sein Gesicht und er schlief ein.

Als Hans wieder zu sich kam, hörte er Weihnachtsglocken klingen. Er stand auf, nahm sich die Kugel und folgte der Musik. Als er am Marktplatz ankam, sah er das Schild: „Herzlich Willkommen auf dem Röbeler Weihnachtsmarkt!“. Er hörte von überall ein fröhliches Gelächter, sah Kinder, die mit einem breiten Grinsen Karussell fuhren, eine heiße Schokolade tranken oder irgendeine andere Leckerei aßen.

Hans ging schnurstracks zu den riesigen Süßigkeitenstand. Dort gab es alles, was man sich an Süßigkeiten wünschte. Aber Hans interessierte sich nicht für die meisten Leckereien. Nein, er wollte einen kandierten Apfel haben, so einen mit Gold- und Silberperlen darauf. Doch sein Problem war es, dass er kein Geld hatte. Also schlich er sich unauffällig neben den Stand in die Nähe der Äpfel und als der Verkäufer nicht hinsah, griff er blitzschnell nach einem der Äpfel und lief, so schnell er konnte, davon. Der Verkäufer rannte ihm hinterher und schrie immer wieder: „Haltet den Dieb! Haltet den Dieb! Wenn ich dich in die Finger bekomme, mein Freund, dann kannst du etwas erleben!“ Hans lief und lief. Er huschte von Gasse zu Gasse. Plötzlich war der Boden unter seinen Füßen so glatt, dass er ausrutschte und hinfiel. Doch noch bevor er auf den kalten Schnee landete, zog ihn ein Mädchen zur Seite.

„Du musst aufpassen, sonst fällst du noch hin! Ich bin Lola, und du?“, sagte das Mädchen neugierig. „Ähm, Ha-Ha-Hans“, antwortete er überrascht. „Warum läufst du denn so schnell durch die Gassen? Hast du denn nicht gesehen, dass es hier rutschig ist?“, fragte Lola. Hans antwortete direkt: „Ich laufe vor einem Verkäufer weg, der mich gejagt hat“. Fragend schaute Lola ihn an: „Und warum hat er dich gejagt?“ Hans kratzte sich am Kopf: „Ich habe ihm einen kandierten Apfel geklaut. Hier, das ist er.“ Wütend sagte Lola: „Mensch, man klaut nicht. Das macht man einfach nicht“ und fragte „Und warum hast du deine Eltern nicht gefragt, ob sie dir den Apfel kaufen können?“ Hans Blick ging nach unten: „Ich, ähm, ich habe keine Eltern.“ Lola überlegte kurz, sah ihn an und sagte: „Das tut mir leid. Möchtest du mit mir nach Hause kommen? Ich wohne hier gleich um die Ecke.“ Hans strahlte: „Ja, sehr gerne. Das ist sehr nett von dir.“ Lola griff seine Hand und zog ihn hinter sich her.

Als sie am Haus ankamen, klingelte Lola und eine sehr freundliche Frau öffnete die Tür. „Lola, du bist ja schon wieder zurück.“ Sie sah Hans. „Und einen Freund hast du auch mitgebracht.“ Lola antwortete: „Das ist Hans. Er lebt eigentlich im Waisenhaus. Er hat großen Hunger. Darf er bitte mit reinkommen?“ Die Mutter lächelte und sagte: „Natürlich darf er, kommt rein.“

Das Haus war riesig und alles war für Weihnachten geschmückt. Überall hingen Lichterketten, kleine Weihnachtsmänner standen auf den Schränken und der Baum war voll mit Lametta. „Hans, du bist ja ganz dreckig“, stellte die Mutter fest. „Komm, wir gehen nachsehen, ob wir etwas Sauberes für dich finden.“ Hans staunte, als er sich mit den neuen Sachen im Spiegel sah. Er sah wie ein ganz anderer Mensch aus. „Und, was sagst du?“, fragte Lolas Mutter. Hans sagte sofort: „Ich finde es toll, super…nein, fantastisch!! Vielen, vielen Dank!“ Hans war so glücklich, dass er die beiden umarmte. Die Mutter von Lola lachte: „Nichts zu danken. Wollen wir jetzt runtergehen und Abendbrot essen?“ Lola fragte aufgeregt: „Und dürfen wir beim Essen Fernsehen gucken? Die Nordpolnews kommen doch gleich!“ „Ok, aber nur, weil wir heute einen Gast haben.“ Als sie am Tisch saßen, machte Lolas Mutter den Fernseher an.

 „Hallo, hier ist euer John-Boy Riwer mit den Nordpol-News. Zurzeit werden der magische Schlitten und die goldene Kugel des Weihnachtsmannes vermisst. Dadurch dass die Kugel und der Schlitten weg sind, weiß der Weihnachtsmann nicht, wo die Kinder wohnen und kann keine Geschenke verteilen. So, das war es mit den Nachrichten heute. Auf Wiedersehen!“

Lola und ihre jüngere Schwester Lilli waren sehr traurig. Hans erzählte dennoch niemanden, dass er den Schlitten und die Kugel geklaut hatte. Er fühlte sich bei der Familie so wohl, dass er Angst hatte, sie würden ihn rausschmeißen. Er wünschte sich die Familie sogar so sehr, dass er anfing zu weinen. In seinen Tränen versunken, kam ihm dann aber die Idee, dass wenn er den Schlitten und die Kugel zurückgeben würde, sein Wunsch, die Familie zu behalten, vielleicht in Erfüllung gehen würde.

Nach dem Abendbrot wollte die Familie Hans wieder ins Waisenhaus bringen, auch wenn sie ihn am liebsten für immer aufgenommen hätten. Hans sagte jedoch: „Ich würde vorher gerne noch ein bisschen spazieren gehen.“ Lolas Eltern waren überrascht, antworteten aber: „Geh nur, wenn du willst, aber bleibe in der Nähe und nicht so lange weg.“ Glücklich über diese Antwort ging er hinaus. Trotz des Glücks war ihm mulmig im Bauch. Der Schlitten lag etwas abseits von Röbel, aber Hans wusste, wo er genau lag.

Als er beim Schlitten ankam, nahm er die Kugel, hielt sie in die Höhe und schrie: „Kugel leuchte!“ Die Kugel begann zu leuchten und der Weihnachtsmann erschien. Hans sagte mit gesenktem Kopf: „Lieber Weihnachtsmann, es tut mir leid, dass ich deinen Schlitten gestohlen habe. Und hier hast du die Kugel.“ Der Weihnachtsmann antwortete: „Es war zwar nicht schön, aber gut, dass du ihn zurückgegeben hast.“ Mit einem Schwung saß der Weihnachtsmann in seinem Schlitten und flog los.

Hans blickte noch einmal zum Schlitten und ging los zu Lolas Haus. Die Familie brachte ihn dann zum Waisenhaus.

Eine Woche war vergangen und Hans saß seitdem jeden Tag vor dem Fenster und blickte Richtung Röbel. Es war Weihnachten und er war ganz allein. Zu seiner Überraschung stand Lolas Familie vor der Tür. Die ganze Familie jubelte im Chor: „Du darfst ab heute für immer bei uns leben.“ Hans war so glücklich, dass er jedem um den Hals fiel.

Als sie alle zuhause waren, aßen sie Abendbrot. Es war ein richtiges Festessen: Ein großer Braten, viel Salat, Eintopf und als Nachspeise gab es Rote Grütze. Um Mitternacht packten alle Geschenke aus und Hans sagte: „Das größte Geschenk ist, dass ich bei euch leben darf.“ und murmelte vor sich hin: „Vielen Dank, lieber Weihnachtsmann!“

von Florentine Kießler, Maya Vana, Senta Brinkmann-Lüers, Zarah Göhler